Als Gründerin der Modemesse Premium zählt Anita Tillmann zu den Schlüsselfiguren der deutschen Textilbranche. Sie hat Berlin zu einem Dreh- und Angelpunkt der Mode gemacht. Tillmann möchte als Impulsgeberin die Berliner Fashion Week in eine nachhaltige Zukunft führen. Christine Korte, meine kompetente Kollegin von der Nachhaltigkeits-Website „LESSaFAIR“, hat mir ihr gesprochen. Über Nachhaltigkeit in ihrem Alltag und darüber, wie Anita Tillmann umweltfreundliches Handeln ins Design- und Premium-Segment rückt (Bild: ©Boris Kralj):
CK: Was bedeutet für Sie persönlich ein nachhaltiger Lebensstil?
AT: Nachhaltigkeit durchdringt bei mir alle Bereiche des Lebens, Umwelt, Beziehungen und den Büroalltag. Es geht mir darum, nachhaltige Werte zu schaffen. Deshalb ist das ein sehr großes Wort für mich – beruflich wie privat. Umweltschutz, zum Beispiel, ist ein Wert, der mir bereits in die Wiege gelegt wurde. Ich komme aus einem Elternhaus, in dem wenig Plastik benutzt und Dinge wiederverwertet wurden. Und das gebe ich jetzt an meine Töchter weiter.
Wie integrieren Sie Zero Waste in ihren Alltag?
Zero Waste Supermärkte sind natürlich ideal, aber es gibt auch Biosupermarktketten, die wenig Plastik verwenden. Obst und Gemüse sind dort unverpackt, man bringt sich Tragetaschen von zuhause mit. Für meine Kinder und mich ist es selbstverständlich, auf Plastiktüten, Strohhalme oder Wattestäbchen zu verzichten. Wir fahren, so viel es geht, mit dem Fahrrad und verreisen lieber mit dem Zug als mit dem Flugzeug. Für 2019 haben wir uns vorgenommen, für jede Flugreise einen Baum zu pflanzen. Außerdem haben wir jetzt ein Hybrid-Auto bestellt. Jeder sollte mit irgend etwas anfangen. In der Masse können wir so einen Impact erzielen.
Sie sind für ihren trendbewussten und besonderen Stil bekannt. Weckt nachhaltige Mode bereits genügend Begehrlichkeiten in Ihnen?
Bisher habe ich noch keinen Designer gefunden, der komplett nachhaltig produziert und es trotzdem schafft, meinen ästhetischen Ansprüchen zu genügen. Wenn dem jemand nahe kommt, dann ist das mit Sicherheit Stella McCartney. Auch die Sneaker-Marke Veja, die bei uns auf der Messe angefangen hat, hat es verstanden, Design und Nachhaltigkeit zu verknüpfen. Heute sind die Sneakers neben großen Designern in Luxus-Boutiquen vertreten. Wir befinden uns in einer Umbruchphase. Während nachhaltige Mode früher mal politisch motiviert war, entsteht sie heute tatsächlich aus dem Design-Bereich heraus. Und das ist auch wichtig, denn nicht jeder, der nachhaltig lebt und denkt, ist ein guter Designer. Neben dem Handwerk ist heute auch ein gutes Gespür für den Markt und die Bedürfnisse der Konsumenten gefordert. Für die neue Designer-Generation ist Nachhaltigkeit mittlerweile selbstverständlich.
Welches Potenzial sehen Sie für den Modestandort Berlin in der nachhaltigen Bewegung?
Wir haben damit schon jetzt ein Alleinstellungsmerkmal. Die Neonyt ist die größte und wichtigste Messe Europas in diesem Bereich. Auf der Seek manifestieren sich mit dem jüngeren Sportwear-Segment die Werte einer neuen Generation und einer globalen Jugendbewegung, und mit der Premium dringt nachhaltige Mode jetzt auch in den Luxusbereich vor. Mit dem German Fashion Council arbeiten wir mittlerweile sehr eng mit der Europäischen Union zusammen, die die Entwicklungen nachhaltiger Materialien fördert.
Sie verfolgen als Messe-Veranstalterin auch einen holistischen Ansatz…
Ja, klar! Wir benutzen keine Teppiche mehr. Wir verzichten – so gut es geht – auf Plastik. Das fängt schon beim Catering an. Wir bauen unsere Möbel selbst und lagern sie zur Wiederverwertung immer wieder ein. Goodie-Bags haben wir komplett abgeschafft. Zusammen mit der Berliner Organisation One Warm Winter haben wir auf der Seek die Aktion „GIVE BAG“ gestartet, im Zuge derer wir Marken (Aussteller) auffordern, ihre alten oder leicht defekten Kollektionsteile mitzubringen, die wir dann gesammelt an Obdachlose spenden. Damit wollen wir auf den Überfluss aufmerksam machen, der von der Modebranche produziert wird.
Wie kann man die Marken davon überzeugen, ihre Strukturen zu überdenken und zu ändern?
Wachstum ist ja relativ. Wenn man Wachstum nur über Mehrproduktion schafft und am Ende wird alles weggeschmissen, ist das eine Milchmädchenrechnung. Die Frage ist doch, wie man nachhaltig wachsen kann. Die Hersteller sollten sich lieber auf ein Produkt spezialisieren und dieses so hochwertig produzieren, dass sie damit den globalen Markt bedienen können. Statt den Markt mit einer breiten Produktpalette zu überfluten, für die es keinen Bedarf gibt. Klar möchten und müssen wir alle Geld verdienen. Ich glaube trotzdem fest daran, dass Wachstumsstrategien überdacht werden sollten. Wir müssen uns überlegen, wie man wachsen kann, ohne dabei der Umwelt zu schaden. Das eine schließt das andere nämlich nicht aus.
Die jüngste Studie von McKinsey und BOF „The State of Fashion 2019“ besagt jetzt, dass eine neue Generation von Konsumenten heranwächst, die „die absolute Transparenz“ fordert. Was entgegnen Sie dieser Forderung?
Mega. Das Unglück in Bangladesch hat unser Bewusstsein geschärft und die komplette Branche beeinflusst. Wir wollen genau wissen, was wir anziehen. Sind die Materialien umweltschonend und frei von Chemikalien? Unter welchen Arbeitsbedingungen und wo wurde das Produkt hergestellt? Das sind heute wichtige Fragen, auf die der Kunde Antworten verlangt. Um die Produktionskette transparent zu machen, braucht es meines Erachtens trotzdem Gesetze. Europa sollte sich darauf konzentrieren, die Produktion zurück zu holen. Von allein wird das nicht passieren. Das kann Europa stärken. Wir haben im Vergleich zu anderen Kontinenten immer noch die Hoheit auf den guten Geschmack sowie eine enorme Kreativität und eine tief verankerte Kultur des Schneiderhandwerkes. Dem sollte man wieder Raum geben. So können wir auch den Umgang mit Nachhaltigkeit besser regulieren und als gutes Beispiel vorangehen.
Zu viel Konsum, zu viel Trends und zu viel News: Nicole Schneider und Christine Korte wollen sich mit der Gründung von LESSaFAIR vom Überfluss befreien. Mit ihrem Online-Magazin für Conscious Minds verknüpfen sie nachhaltige Mode und Beauty und einen achtsamen Lebensstil mit Luxus und beweisen, dass stilsicheres Design und Nachhaltigkeit sich nicht ausschließen.
Das Interview wurde für The Serene Style leicht gekürzt. Der vollständige Text ist auf LESSaFAIR zu lesen.
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