Auf den Bildern von Johannes Vermeer scheint die Zeit eingefroren zu sein. So, als sei das Vergangene nur einen Wimpernschlag vom Betrachter entfernt. Ich liebe diesen Ausnahme-Maler des 17. Jahrhunderts. In diesem Monat kommt er bei mir gleich doppelt vor.
Zum einen habe ich am vergangenen Wochenende die schon vielbesprochene Vermeer-Ausstellung im Louvre besucht (am französischen Wahlsonntag, mit klammem Herzen und am Abend dann großer Erleichterung). Zum anderen hat der Taschen-Verlag mir den phantastisch gestalteten Bildband „Vermeer. Das vollständige Werk“ geschickt. Beides anzusehen lohnt sich in jedem Fall. Auch wenn das Buch fast die bessere Option ist…
Keine „Sphinx von Delft“
Vermeer wurde 1632 in der niederländischen Stadt Delft geboren, wo er auch 1675 starb. Nur 37 Werke sind von ihm bekannt. Das liegt auch daran, dass er zu Lebzeiten nur einem kleinen Kreis von Menschen bekannt war. Und dann für fast 200 Jahre in der „Versenkung“ verschwand und vergessen wurde. Daher gab es auch keine nennenswerten Versuche, seine Bilder zusammenzuführen. 1860 entdeckte ihn ein französischer Kunstschriftsteller wieder und gab ihm den Beinamen „Sphinx von Delft“. Vermeer galt fortan als unerkanntes Genie, der ziemlich allein vor sich hin malte, eine rätselhafte Erscheinung. Die Ausstellung und auch das Buch wollen zeigen, dass dies nicht stimmt. Sondern dass der Delfter Maler sich aktiv mit anderen Künstlern auseinandersetzte und gar nicht so isoliert war.
Verblüffend ähnliche Motive von „Kollegen“ werden denen Vermeers entgegengestellt, Bilder aus der sogenannten „Genremalerei“. Sie zeigen Szenen aus dem Alltagsleben meist wohlhabender Bürger. Zum Beispiel Frauen, die musizieren, vor einem Spiegel stehen oder Briefe schreiben. Im Louvre kann man 12 Bilder von Vermeer selbst sehen und zahlreiche andere von niederländischen Zeitgenossen. Die Schau heißt daher auch „Vermeer und die Meister der Genremalerei“. Fast alle von ihnen sind hervorragende Maler, doch Vermeers Bilder stechen total heraus. So „bei sich“ wirken seine Gestalten, oft in sich versunken. So großartig geht er mit dem Licht um. So fein malt er Details. In der Ausstellung dabei ist zum Beispiel eines seiner bekanntesten Werke: „Das Milchmädchen“. Es zeigt eine Dienstmagd, die einen Krug Milch in ein anderes Gefäß schüttet, voller Hingabe, lebensnah und doch in ihrer eigenen verschlossenen Welt.
Das Buch tut’s auch!
Die Ausstellung ist natürlich wunderschön. Aber sie ist ziemlich eng und ungünstig gehängt. Zudem supervoll mit Besuchern, die sich von Bild zu Bild in einer langen Karawane schieben. Der Audioguide hält sich in der Abfolge der in Gruppen besprochenen Bilder leider nicht an die Hängung. Oder die Hängung nicht an ihn. Somit muss man zwischen einzelnen Bildern hin- und herlaufen und erntet böse Blicke, weil man die Karawane verlassen hat. Wer die Schau also nicht mehr besuchen kann, der kann sich seelenruhig trösten. Er ist mit dem Buch bestens bedient.
Das enthält alle 37 Bilder des Malers mit einer detaillierten Beschreibung seines Lebens und seines Umfelds. Und eben dann noch viele Motive von anderen Künstlern. Manchmal wirkt es etwas zu detailliert und reiht ein wenig langatmig Fakten nacheinander auf. Insgesamt liest es sich aber auch für Laien gut. Das Aller-, Allerbeste ist jedoch die unglaublich gute Qualität der Abbildungen. Sie zeigen wirklich den Zauber Vermeers: Sie leuchten einem förmlich entgegen. Man kann stundenlang darin blättern. Ganz in Ruhe und vor allem, ohne angerempelt oder beiseite geschoben zu werden. Und danach kann man sich vielleicht den Vermeer-Film „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ mit Colin Firth und Scarlett Johannson noch einmal ansehen (alle Bilder aus dem Buch).
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