Die Elmau. Für mich bleibt sie einer der schönsten Orte in Deutschland. Und ich weiß sehr wohl, was für ein Privileg es ist, in dem prachtvollen Hotel Schloss Elmau auf einer Hochebene vor dem Wetterstein-Gebirge weilen zu dürfen. Ein paar Tage lang habe ich hier am jährlichen Yoga-Summit teilgenommen. Und dabei eine Lieblings-Beschäftigung aus Kindertagen wiederentdeckt, für die es keinen besonderen Aufwand braucht: das Streifen durch die Natur.
Yoga-Aktionismus statt echter Ruhe
Ruhe und Einkehr hatte mir meine Ärztin verordnet. Bewegung und Meditation, Digital Detox und Spaziergänge. Statt ständig zu lesen oder auf meinem Laptop herumzutippen sollte ich die Augen entweder schließen (also meditieren oder schlafen) oder den Blick in die Ferne schweifen lassen (also Asanas üben oder rausgehen). Bloß kein Fokus! Ich war nach zu viel Arbeit und zu vielen Terminen in den vergangenen Wochen ziemlich matt und zugleich hypernervös. Die Elmau erschien da genau richtig mit ihrem tollen Yoga-Programm: Zweimal am Tag konnte man zwischen drei verschiedenen Übungsklassen wählen. Zudem gab es jeden Morgen eine geführte Meditation, mittags dann verschiedene Vorträge. Und abends erneut einen Vortrag zur Yoga-Philosophie oder ein Konzert mit indischer Musik. Allerdings verführte mich das gleich am ersten Tag zu erneutem Aktionismus. Gleich vier Veranstaltungen stapelte ich hintereinander – Ruhe und Einkehr sehen anders aus. Zumal ich den gesamten Tag drinnen verbrachte, sogar in ein- und demselben Gebäude der Anlage. Eigentlich ziemlich bescheuert! Da sucht man die innere Ruhe, und vor so viel Innerlichkeit verpasst man das Wesentliche.
Nach draußen!
Am zweiten Tag strich ich das Programm radikal zusammen. Morgens Meditation oder Yoga und nachmittags nur Yoga. Das reichte. Stattdessen machte ich jeden Tag einen langen Gang in der unglaublich schönen Umgebung, auch bei strömendem Regen. Streifte über Weiden und Wiesen, überquerte den kleinen Fluss, setzte mich vor Hütten auf Bänke und verirrte mich einmal gnadenlos. Oder besser verlief mich. Denn in welche Richtung ich gehen musste, das wusste ich schon noch genau. Doch statt des Wanderweges war ich aus Versehen der Loipe gefolgt. Die natürlich nur im Winter richtig funktioniert. Ich landete im hohen Gras, in Nullkommanichts schmatzten an meinen Füßen platschnasse Schuhe, und der Weg ging auch nicht weiter. Schloss Elmau grüßte in der Ferne, doch zwischen mir und dem Retreat lag der sich schlängelnde Fluss. Allzu viel Zeit bis zur nächsten Yoga-Stunde hatte ich auch nicht mehr. Also weiter durch die sumpfigen Gräser, vorbei an Butterblumen, Rotklee und Schafgarben und runter zum Wasser. Eine Querung fand ich weit und breit nicht. In Kindertagen und auch später noch suchten wir immer die schmalste Stelle, um dort von einem Ufer zum anderen zu hüpfen. Derjenige mit den längsten Beinen sprang zuerste und half dann den anderen mit der Hand. Ich war jedoch allein. Eine helfende Hand gab es somit nicht. Nach der schmalsten Stelle konnte ich natürlich trotzdem suchen, unten zwischen wuchernden Rhabarberpflanzen fand ich dann eine Möglichkeit. Für einen Sprung von einem Bein auf das andere immer noch zu weit. Aber dann fiel mir ein, dass ich mit meinem Trainer in Hamburg kürzlich Schlussprünge geübt hatte (Danke, Arlow!) – und dank Armeinsatz und Hüftschwung viel weiter kommen konnte als üblich. Mein Handy verstaute ich fest in der Hosentasche, die Jacke band ich nach oben und dann hieß es beherzt losspringen. Es klappte. Ich war drüben und konnte nun durch den beginnenden Regen über die schlammigen Wiesen laufen. Und war glücklich wie früher als Kind. Will sagen: Es braucht nicht unbedingt Anleitungen, Yogalehrer oder gar ein wunderbares Hotel. Auch wenn das natürlich alles großartig ist. Aber sogar auf der Elmau ist das Schönste die Natur. Und die gibt es kostenlos. Ich wünsche euch allen für den beginnenden Sommer viel Zeit draußen. Und vielleicht sogar ein paar (schöne) Hindernisse auf euren Wegen.
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